Die Ursache des Busunglücks von Münchberg steht fest. Die vorläufigen Ermittlungsergebnisse wurden heute von Polizei und Staatsanwaltschaft in Hof vorgestellt. Zwar stehen noch die abschließenden schriftlichen Gutachten der Sachverständigen aus. „Aus momentaner Sicht ist nicht zu erwarten, dass sich noch wesentliche neue Erkenntnisse ergeben“, hieß es in der Mitteilung vom Mittwoch.
Demnach fuhr der Fahrer aufgrund einer Unaufmerksamkeit kurz vor einer Fahrbahnverengung auf der rechten Spur mit 60 bis 70 km/h am Stauende auf einen Lkw-Anhänger auf. Der Lkw fuhr selbst noch ca. 30 km/h. Der Busfahrer versuchte offenbar, nach rechts Richtung Standstreifen auszuweichen und bremste wohl auch im letzten Moment. Der Bus kollidierte dadurch mit einer geringen Überdeckung von nur rund 60 cm auf der Fahrerseite (s. Foto oben). In diesem Bereich sind die Drucklufttanks, die Batterie samt Elektrik und der Zusatztank verbaut.
Eine folgenschwere Mischung: Kurzschlüsse mit extrem heißen Lichtbögen trafen auf einen zerplatzten Zusatztank. „Der herausspritzende und zerstäubte Kraftstoff entzündete sich unmittelbar beim Austreten durch die Lichtbogenbildungen, noch angefacht durch die entweichende Druckluft“, so die Erkenntnisse der Gutachter. Zudem war der Bus wegen der massiven Kollision im vorderen linken Bereich aufgerissen, wodurch sich Rauch und Feuer im Innenraum des Busses schlagartig ausbreiten konnten. Dadurch kam es in kürzester Zeit zum Vollbrand des Busses.
Das Ergebnis ist bekannt: 18 Tote und 30 teilweise schwerverletzte Überlebende. Es stellt sich die Frage, ob die Sicherheitsarchitektur im verunfallten Modell des niederländischen Herstellers VDL Bova (Baujahr 2013, war mit ABS und ESP ausgestattet, verfügte sonst aber über keine Assistenzsysteme) überarbeitet werden muss. Vielleicht sogar in Reisebussen allgemein? Ein kompetenter Ansprechpartner ist in diesem Zusammenhang Johannes Hübner, Sicherheitsbeauftragter im Internationalen Bustouristik Verband (RDA). Er hatte schon einen Tag nach der Katastrophe von Münchberg in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk die richtige Ursache parat.
Busexperte: Löste ein Kurzschluss das verheerende Feuer beim #Busunglück in #Münchberg aus? pic.twitter.com/dbCWu3mxTJ
— BR24 (@BR24) 4. Juli 2017
Im Kurzinterview mit „Kfz-Rueckrufe.de“ verneint er ein grundsätzliches Sicherheitsproblem.
„Ein sehr, sehr seltenes Phänomen“
„Kfz-Rueckrufe.de“: Herr Hübner, Sie sprachen im TV-Interview von einem vergleichbaren Busunfall in Belgien. Gibt es weitere Beispiele für solche Unfälle?
Hübner: Der Busunfall in Mons / Hensies in Belgien im Dezember 2003 war der einzige vergleichbare Unfall dieser Art: auch damals entzündete ein Kurzschluss den auslaufenden Diesel aus dem beim Aufprall beschädigten Tank und das brennende Diesel lief nach rechts unter dem Bus zum Bug und zur vorderen Tür. Seitdem hat es keinen derartigen Fall gegeben. Der spätere Unfall in Lehrte bei Hannover betraf die Toilettenkabine eines Mercedes Travego, in der es durch Brandgasanreicherung beim Öffnen der Tür zu einem sog. ‚Flash-Over‘ mit Vertausendfachung des Gasvolumens kam.
„Kfz-Rueckrufe.de“: Wissen Sie, ob in Belgien das gleiche Busmodell betroffen war?
Hübner: Beim Unfall in Belgien handelte es sich um einen Neoplan Hochdecker, dessen Elektrik besonders aufprallsicher im hochliegenden Fußboden der ersten Sitzreihe hinter Fahrer montiert ist. Es war nicht abzusehen, dass ein beim Aufprall abreißendes linkes Vorderrad sich hoch- und umdrehen, den Tankeinfüllstutzen abreißen und mit der Stahl-Radseite in die Elektrik gedrückt werden kann.
„Kfz-Rueckrufe.de“: Sie sagten im TV-Interview, es liege kein grundsätzliches Problem mit der Sicherheitsarchitektur von Reisebussen vor. Ist ein Auffahrunfall mit einem Lkw aber nicht viel wahrscheinlicher und müsste die Zentralelektrik nicht auch aus dieser Aufprallzone entfernt werden?
Hübner: Die Zentralelektrik des Unfallbusses VDL liegt im Sicherheitsbereich oberhalb von 1,50m vor der Hinterachse. Auch die anderen Hersteller berücksichtigen dies und legen die Zentralelektrik oberhalb des üblichen Unfallgeschehens an eine möglichst sichere Stelle. Bei jedem Fahrzeug aber laufen systembedingt die wichtigsten Elektrik-Komponenten auch am Armaturenbrett zusammen, von wo aus der Fahrer alles steuern können muss.
Die Frontlenker-Bauweise von Bussen und LKW führt dazu, dass hunderte Kabel unterschiedlicher Stärke im Bereich zwischen 10 und 40 cm hinter dem Bug verlaufen. Die Statistik zeigte bislang keinen Grund, diese Technik zu verändern – die Kabelstränge verlaufen nämlich oberhalb der üblichen Aufprallzone. In diesem unglücklichen Fall scheinen Höhe Ladekante LKW-Anhänger und Kabelstrang im Bus annähernd gleich gewesen zu sein – ein sehr, sehr seltenes Phänomen, das bis 2003 zurück keinen einzigen Parallelfall hat. Insofern besteht hier auch weiterhin keine Notwendigkeit.
Abhilfe kann der sog. Batterie-Notschalter bieten, mit dem der Fahrer sofort den gesamten Strom zwischen Batterie und Verbrauchern abschalten kann – wenn er nicht verletzungs- oder schadenbedingt nicht betätigt werden kann. Leider ist dieser sog. Batterie-Notschalter bei manchen Bus-Modellen nicht in Griffweite eingebaut.
Kritik am Unfallgutachten
In einer Mitteilung hat der RDA sein Missfallen über die Aussage im Gutachten zum Ausdruck gebracht, eine Unaufmerksamkeit des Fahrers habe den Unfall verursacht. Dies werde nach Auswertung der noch nicht vorgelegten schriftlichen Berichte durch Sachverständige und Anwälte zu hinterfragen sein. Über die Schuldfrage sollte nicht vor Beginn eines Gerichtsverfahrens spekuliert werden, so der Verband. Es sei tragisch genug, dass „der Fahrer bei seinen Rettungsbemühungen selbst ein Opfer der Flammen geworden“ sei – das Mitgefühl gelte deshalb auch seinen Angehörigen.
Anders als der RDA fordert der GDV Konsequenzen aus dem Unfall von Münchberg für die Sicherheitsarchitektur von Bussen.
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