Seit viele die Welt nicht mehr direkt, sondern via Smartphone bzw. vor dem Computer über soziale Medien betrachten, werden die Gemeinsamkeiten geringer. Konflikte polarisieren zunehmend. In Ihrem virtuellen Bekanntenkreis finden sich sicher viele, die Ihnen regelmäßig beipflichten. Aber es gibt wahrscheinlich auch einige Personen, bei denen Sie ob ihrer einseitigen Posts den Kopf schütteln. „Entfolgen“ Sie diesen Menschen nicht. Machen Sie aber auch nicht den Fehler und stellen sie im Web zur Rede.
Wir kennen es vom Berufsverkehr. Dort schimpfen wir über andere oder drücken die Hupe deutlich schneller als wir dies ohne schützenden Faradayschen Käfig täten. Wäre die Hemmschwelle in der vollbesetzten Straßenbahn ähnlich niedrig, müsste sich die Polizei wohl um ein Vielfaches an Körperverletzungsdelikten kümmern.
Wenn wir – womöglich noch mit Schaum vorm Mund – in die Tasten oder auf den Touchscreen hauen, vergessen wir gerne mal die Kinderstube. Von Angesicht zu Angesicht bewahren wir sie dagegen in der Regel. Und wir merken, dass die Person, die wir vor dem Computer auf den Mond schießen wollten, vielleicht durchaus einen Anlass für seine/ihre „Propaganda“ hat. Im vertrauten Gespräch ist das Gegenüber und man selbst eher zugänglich für Argumente des anderen. Und wenn nicht, muss das Tischtuch zumindest nicht endgültig zerschnitten sein. Nach einem Schlagabtausch vor Publikum in der Facebook-Arena ist dies häufiger der Fall.
Eigentlich täte uns allen ein Zwangsmonat ohne Internet ganz gut – gerade in Zeiten von Regierungskrise und potenziellem WM-Aus. Dies ist aber nicht realistisch. Daher plädiere ich dafür, zumindest ab und zu die eigene Perspektive zu erweitern und kleine Luftlöcher in die Filterblase zu schneiden. Was für die Flüchtlingsdebatte das Video des Kinderretters aus Mali ist, kann nach einem nervtötenden Tag im Auto das Filmchen der perfekten Zusammenarbeit eines Busfahrers und Bikers im Londoner Stau sein. Daumen hoch und mehr davon!
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