Um den VW-Dieselskandal gibt es inzwischen auch heftigen Streit in der akademischen Welt. Das geht aus einem Interview mit dem Ordinarius für Bürgerliches Recht, Insolvenzrecht und Zivilverfahrensrecht an der Universität Regensburg hervor, das vergangene Woche auf der Internetseite der Hochschule erschien. Professor Dr. Michael Heese wirft darin Kollegen vor, bei Privatgutachten im Auftrag von Volkswagen und anschließenden Veröffentlichungen in (Fach-)Zeitschriften unsauber zu arbeiten.
Häufig werde die vom Hersteller bezahlte Vorarbeit in den Publikationen nur unzureichend offengelegt. Dies sei dann der Fall, wenn der Autor mit schwammigen Formulierungen arbeite. Gerne werde z.B. die Anmerkung verwendet, dass der Beitrag „aus einer Anfrage aus der Praxis“ hervorgehe. „Das reicht nicht, schon, weil es sich bei einer ‚Anfrage‘ nicht notwendig um ein honoriertes Rechtsgutachten handeln muss“, kritisiert Heese. Der Wissenschaftsrat verlange in seinen Standards eine klare Benennung der Auftraggeber in allen Veröffentlichungen.
Zudem verlange es die wissenschaftliche Redlichkeit, dass die vorherrschende Meinung der Fachwelt in den eigenen Ausführungen wiedergegeben werde, insbesondere wenn man selbst eine abweichende Auffassung vertrete oder früher in eigenen Aufsätzen eine andere Meinung kundgetan habe. „Mitunter wird der Eindruck erzeugt, dass die Annahme, die Volkswagen AG könne für ihr Verhalten zivilrechtlich verantwortlich sein, geradezu fernliege“, analysiert Heese.
Die deutschen Land- und Oberlandesgerichte hätten VW aber „längst nahezu einhellig“ zu Schadensersatz verurteilt. „Fast ausnahmslos“ sei die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung der Käufer durch den Hersteller die Ursache. Wie der Jurist in einem Gespräch mit dem NDR ergänzte, haben bis Mitte dieses Jahres 96 der 115 Landgerichte gegen VW geurteilt. Zudem hätten 13 von 14 Oberlandesgerichten für die Kunden entschieden. Dies ergab eine Auswertung seines Lehrstuhls, der sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Dieselskandal beschäftigt.
Musterfeststellungsklage nur ein „Placebo“
Kritik übt der Professor auch an der Musterfeststellungsklage, die ja gerade vor dem OLG Braunschweig ihre Feuerteufe erlebt. Die Lobbyarbeit der deutschen Wirtschaftsverbände habe bewirkt, dass die Regelung zur Einführung des vermeintlichen Verbraucherschutzinstruments nur ein „Placebo-Gesetz“ sei. Das Verfahren sei einem gewöhnlichen Zivilprozess unterlegen, weswegen es nicht zu der erhofften und dringend erforderlichen Entlastung der Zivilgerichte von massenhaft gleichgelagerten Verfahren führe.
Anders die Situation im Mutterland der Sammelklagen. Der Umgang mit Dieselgate in den USA sei eine bemerkenswerte Demonstration der insoweit bestehenden Überlegenheit des dortigen Rechtssystems gewesen. „Volkswagen hat man auf allen rechtlichen Ebenen, also dem Strafrecht, dem Verwaltungsrecht und dem Zivilrecht, gezeigt, was effektive Rechtsdurchsetzung bedeutet“, so Heeses Fazit.
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