Hätte die offizielle Abschlusstabelle der Bundesliga nur sechs statt 18 Mannschaften enthalten und obendrein nur die auswärts erzielten Tore und Punkte berücksichtigt, hätte sie sicher kein Redakteur für seine Berichterstattung verwendet. Ganz anders die Situation, wenn ein britisches Unternehmen ein Markenranking zum Thema Fahrzeugrückrufe erstellt. Obwohl der Autor selbst in seiner „Studie“ einräumt, dass die zu Grunde liegenden Daten unvollständig sind, erzeugte sie ein gewaltiges Medienecho.
Ein kurzer Faktencheck hätte eigentlich die Weiterverbreitung der Falschinfos verhindern müssen. Doch dann wären schöne Schlagzeilen wie „Rückruf-Statistik zeigt Erstaunliches„, „Flop-Ten der meisten Rückrufe“ oder „So viel ist Qualität ‚Made in Germany‘ noch wert“ niemals erschienen (ich verweise in diesem Zusammenhang gerne wieder auf meinen Beitrag „Eine Rückrufstatistik ist kein Qualitätsranking“ von 2017).
Diese Episode zeigt das ganze Dilemma des Online-Journalismus unserer Tage. Geld wird nur noch verdient, wenn einer der blinkenden Banner neben dem Text geklickt wird. Die Auswahl der Meldungen und vor allem deren Betitelung erfolgt somit nach dem Mantra, via Suchmaschinen „Masse“ zu generieren. Es zählt in erster Linie die Verpackung. Reizte die im übertragenen Sinn dazu, das Geschenkpapier gierig zu zerfetzen, ist die Enttäuschung über den Inhalt nicht mehr relevant.
„Klickmaker“ statt „Gatekeeper“
Entsprechend hat sich Personalstärke und Kompetenz vieler Nachrichtenredaktionen gewandelt. „Gatekeeper“ sind dort nicht mehr gefragt, sondern „Klickmaker“. Jede Pseudo-Statistik, die Leser auf die eigene Seite locken könnte, findet so dankbare Abnehmer. Diejenigen, die mit Kommunikation ihr Geld verdienen, kennen diese Spielregeln längst. Doch langfristig merken es auch die Nutzer.
Die wachsende Medienskepsis ist für mich Resultat dieser Entwicklung. Ja, Abhängigkeit von Werbeerlösen gab es auch schon vor dem Boom der Clickbait-Berichterstattung, wie diese Datenerhebung über Anzeigenschaltungen und Rückruf-Meldungen in Tageszeitungen aufzeigt. Es gab sie sogar in der Blütezeit des Boulervardjournalismus, wie wir schon in den 1980er-Jahren von Edelfeder Baby Schimmerlos lernen konnten. Doch in der digitalen Nachrichtenübermittlung ist sie inzwischen so umfassend wie fatal.
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