Wie bei vielen kontroversen Themen, teilt sich die sozial-medialisierte Welt offenbar auch bei Corona in Schwarz- oder Weiß-Maler. Während ich diese Zeilen schreibe (Stand: 19.3., mittags) sehe ich beim Blick aus dem Fenster nach wie vor Menschen auf der Straße eng zusammenstehen, um gemeinsam die Sonne zu genießen und dabei (Halb-)Wissen über das Virus auszutauschen – und dabei vielleicht auch SARS-CoV-2. Dafür werden sie verurteilt von „Vernunftpanikern“ (O-Ton Sascha Lobo), die die aktuellen Vorgänge scheinbar als Zombie-Apokalypse à la „World War Z“ erleben.
Ich denke derzeit häufig an einen anderen Brad-Pitt-Film. Jeder in der Automobilbranche tätige Cineast kennt den Rückrufkoordinator aus „Fight Club“. Der fasst das Wesen seines Jobs so zusammen:
„Man nehme die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge A, die voraussichtliche Defektrate B und den Betrag der durchschnittlichen außergerichtlichen Einigung C. A mal B mal C ergibt X. Wenn X kleiner ist als die Kosten einer Rückrufaktion, wird keine durchgeführt.“
Der Gipfel des Zynismus! Doch wenn wir ehrlich sind, gehören solche Kosten-Nutzen-Rechnungen für uns alle zum täglichen Leben. Und mit „Kosten“ meine ich tatsächlich Menschenleben.
Wie viele Tote weniger pro Jahr hätten wir beispielsweise bei einem konsequenten Verbot aller Drogen, also auch Alkohol und Tabak? Wie viele weniger bei Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen? Apropos Verkehrstote: Per annum sterben über 3.000 Menschen auf deutschen Straßen. Würden wir nur noch den beruflich bedingten motorisierten Individualverkehr zulassen, würde diese Zahl drastisch sinken. Oder: Die Grippewelle der Wintersaison 2017/18 kostete laut Robert-Koch-Institut 25.100 Menschen in Deutschland das Leben. Wie viele dieser Opfer würden noch leben, hätten wir damals schon einen ähnlichen Lockdown gehabt wie heute?
Lockdown-Deadline
Ich kann mich nicht erinnern, dass vor zwei Jahren auch nur ansatzweise über Ausgangssperren diskutiert worden wäre. Nicht falsch verstehen: Ich halte die aktuellen Maßnahmen für richtig, um Zeit zu gewinnen. Aber nach den Osterferien muss das normale Leben wieder ins Laufen kommen. Bis dahin muss es gelingen, die Risikogruppen möglichst gut zu schützen. Der Rest muss sich wohl oder übel nach und nach infizieren. Für die überwältigende Mehrheit wird das kein Problem sein, aber dieses Vorgehen wird auch Opfer fordern.
Doch der Preis, den wir für einen Stillstand über den April hinaus zahlen müssten, wäre aus meiner Sicht um ein Vielfaches höher. Damit meine ich nicht den Verlust von ein paar Euro Umsatz. Ich rede von der Vernichtung wirtschaftlicher Existenzen mit allen Folgeerscheinungen bis hin zum Staatsbankrott. Regierungen können uns nicht über Monate schadlos halten, insbesondere nicht jene, deren Finanzen schon vor Corona in Schieflage waren. Viele von denen, die momentan auf andere deuten und ihnen vorwerfen, sie hätten den Ernst der Lage noch nicht erkannt, haben selbst etwas ganz Elementares nicht begriffen: Es gibt keinen Vollkasko-Schutz für unser Leben!
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